"Das ist kein Camping"
Seit einem halben Jahr verkauft Marcel das Straßenmagazin. Vier Jahre hat er auf der Straße gelebt. Auf einem Spaziergang zu seinem alten Schlafplatz hat er uns erzählt, wie schnell und drastisch sich der eigene Alltag ohne Dach über dem Kopf verändert.
Von Sebastian Sellhorst

Wir treffen Marcel an seinem Verkaufsplatz auf der Kaiserstraße in Dortmund. Während wir es uns etwas abseits auf einer Bank gemütlich machen, werden wir immer wieder von Bekannten unterbrochen, die kurz auf einen Plausch stehen bleiben. In „seinem“ Viertel kenne ihn fast jeder. „Bevor ich zu bodo gekommen bin, hab ich hier gebettelt. Irgendwann haben mich dann Passanten quasi überredet, zu bodo zu gehen. Wäre ich selbst nie drauf gekommen“, erzählt er und schmunzelt.
Davor hat er fast vier Jahre auf der Straße gelebt. Nach einer Haftstrafe stand er damals ohne Wohnung da. „Das hab ich nicht nur selber erlebt. Ich kenne viele, denen ähnliche Geschichten passiert sind. Die Leute kommen aus dem Knast, haben ein paar Euro, die sie drinnen verdient haben und sonst nix. Anfangs kommst du noch bei Freunden unter, aber dann ist irgendwann deren Gastfreundschaft auch erschöpft“, erinnert sich Marcel an seinen Weg auf die Straße.
Die ersten Nächte draußen verbringt er damals in der Innenstadt. Er schläft in Eingängen von Häusern oder Geschäften. „Das wurde mir aber sehr schnell zu stressig und zu gefährlich“, erinnert sich Marcel und zündet sich eine Zigarette an. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du nachts Ärger mit Leuten hast, die dich beklauen wollen. Besoffene Jugendliche, die dir einen Schreck einjagen wollen, sind noch dein kleinstes Problem“, erzählt er uns.
Schnell habe er sich damals etwas außerhalb der Innenstadt einen Ort zum Schlafen gesucht. Ob wir mal sehen wollen, wo damals sein Zelt stand, fragt er uns. Eigentlich seien die Orte von Schlafplätzen ein großes Tabu. Zu groß sei bei vielen die Angst vor nächtlichen Übergriffen „Da schläft jetzt niemand mehr, da können wir ruhig mal hin“, beruhigt er uns und wir machen uns auf den Weg.
„Das hier waren auch mal beliebte Plätze“, erfahren wir, als wir an einem stillgelegten Fernwärme-Rohr entlang gehen. Nach etwa zehn Minuten kommen wir an einer Mauer an, die die Böschung eines Bahndamms von der Straße trennt. „Hier, guck mal drüber. Das war damals meine Ecke“, erklärt er uns. Nichts deutet heute an der verstecken Böschung darauf hin, dass Marcel mal da war. „Zuerst hab ich mir damals eine Strandmuschel besorgt und die mit Planen halbwegs wetterfest gemacht. Später hatte ich dann ein richtiges Zelt“, erinnert er sich.
Als wir ihn Fragen, wie er die Abende im Zelt verbracht hat, muss er lachen. „Das ist ja kein Camping. Du setzt dich nicht abends an ein Lagerfeuer und lässt den Tag ausklingen. Du verziehst dich einfach wenn es dunkel wird in dein Zelt und hoffst, dass du halbwegs trocken und ungestört die Nacht rumkriegst.“
Mittlerweile hat Marcel wieder ein Dach über dem Kopf und wohnt mit einem Freund zusammen. „Mit bodo hab ich jetzt auch meinen ganzen Behördenkram geregelt und endlich Arbeitslosengeld beantragt“, erzählt er uns auf dem Rückweg zu seinem Verkaufsplatz, an dem wir noch ein Foto machen wollen. „Jetzt muss nur noch mit der Suche nach einer eigenen Wohnung klappen. Optimal ist es nämlich noch nicht. Aber erstmal ist alles besser als Draußen.“