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„Ich guck, dass ich irgendwie überlebe“

Für Wohnungslose bedeutet Corona noch immer eine Ausnahmesituation. Wo Versorgungs- und Beratungseinrichtungen immer noch unter Einschränkungen arbeiten, ist die Not bei den Betroffenen in den letzten zwei Jahren größer, die Verelendung, von der Wohnungslosenhilfe bundesweit berichtet, zunehmend sichtbar. Spürbar ist auch wachsende Resignation.

Von Sebastian Sellhorst und Alexandra Gehrhardt

Anders als vor einem Jahr, als NGOs und Ehrenamtliche im Verbund mit der Stadt Dortmund die Versorgung von Wohnungslosen unter Pandemiebedingungen gemeinsam stemmten, scheint das kommunale Coronamanagement im Feld in großen Teilen zum Normalzustand zurückgekehrt. Unter dem knappen Verweis auf Impfungen und die 3G müssen Einrichtungen ‑ mit auf Kante genähtem Budget und knappen Personalressourcen – in Eigenregie Zugänge regeln, Hygienekonzepte umsetzen und so gut es geht ihre Angebote aufrechterhalten.

Im öffentlichen Raum scheint die Antwort auf die wachsende Sichtbarkeit Verdrängung und Repression. Gewerbetreibende und Anwohnerinnen ärgern sich über die Spuren der Draußenschläfer, einige Betroffene berichten von unhöflichen Ordnungsamtsstreifen, ganztägigen Platzverweisen und Knöllchen für Delikte, die keine sind, wenn man eine Wohnung hat. Für die, die die Strafen nicht zahlen können, steht im schlimmsten Fall Gefängnis.

Die Stadt betont, jedem ein Übernachtungsangebot zu machen. Formal stimmt das. In der Praxis sind die bürokratischen Hürden – der alleinige Anspruch für Dortmunder:innen, der Kostenträger, die „Mitwirkungspflicht“, zur Zeit ein negativer PCR-Test aus der Quarantäneeinrichtung am südlichen Stadtrand – so hoch, dass viele den Weg ins Hilfesystem nicht mehr schaffen. Andere meiden die Unterkünfte, um sich nicht in den Mehrbettzimmern einem Infektionsrisiko auszusetzen und ziehen ihnen die Straße vor – gerade im Winter lebensgefährlich. Stimmen von draußen.

Daniel*

Ich hab mein Zelt in einem kleinen Waldstück bisschen außerhalb von der Innenstadt stehen. Da ist nix los. Nur zwei Leute mit Hund gehen da morgens immer vorbei. Aber die kennen mich schon. Am Anfang war es hart, als ich noch nicht so gut ausgerüstet war. Mittlerweile komm ich aber klar. Hab zwei Isomatten unter meinem Zelt und eine dicke im Zelt, auf der ich schlafe. Dazu einen Riesenschlafsack. Frieren tue ich damit eigentlich nicht mehr. Aber das muss man alles erstmal am Start haben. Am Anfang hatte ich das noch nicht. Da hab ich im Häuschen am Kinderspielplatz gepennt. Zwei Mal waren die Cops da. Einmal hatte ich mir Feuer gemacht und einmal waren die auf der Suche nach jemand anderem. Haben mich beide Male da gelassen. Morgens geht es dann zu Fuß in die Stadt. Erstmal Frühstücken im Gast-Haus. Danach treffe ich mich mit ein paar Leuten hier in der Stadt.

In der City haben sie mich schon paar Mal dran gekriegt. Zwei Mal 170 Euro wegen Maske und zwei Mal wegen Konsum 78,50 Euro, weil ich mir `nen Joint gebaut hab. Auch Quatsch, kostet das gleiche, ob du Koks rauchst oder Gras. Die Post hat mir direkt das Ordnungsamt gebracht. Kommen vorbei, gehen ihre Liste durch und drücken mir den Brief in die Hand. Kann ich natürlich nicht zahlen. Kohle vom Amt krieg ich nicht. Ich mach nur Pfand und guck, dass ich irgendwie überlebe.

Ein Zelt in einem Stadtpark in Dortmund. Obdachlose leben nicht nur in der belebten Innenstadt, sondern auch an Orten, an denen sie weniger sichtbar sind. Foto: Sebastian Sellhorst

Peter*

Ich bin nicht mehr draußen, das kann ich nicht mehr. Früher ging das noch, aber ich bin ja schon über 70. Nachts bin ich bei meinem Bruder und tagsüber hier in der Fußgängerzone. Oder am Gasthaus.

Die Sachen hier sind nicht meine. Seit ein paar Wochen schläft hier eine Frau, direkt vor dem Eingang von dem leeren Laden. Ich weiß aber auch nicht, was die genau macht. Manchmal schläft sie bis mittags. Aber jetzt hab ich sie auch drei Tage schon wieder nicht mehr gesehen. Ich glaube, die hat einen Freund, bei dem sie ab und zu schläft. So richtig auf Zack ist sie auch nicht. Wenn sie weggeht, lässt sie immer ihr Geld in ihrer Schale. Das ist ja dann nur `ne Frage der Zeit, bis da jemand zugreift. Und ich bin ja auch nicht immer hier und kann aufpassen. Wundert mich, dass sie die noch nicht weggeräumt haben bei dem ganzen Kram, den sie da liegen hat.

Auf wem Westen-und Ostenhellweg werden die Schlafplätze sichtbarer. Die Not manifestiert sich. Foto: Sebastian Sellhorst

Birgit*

Vier Wochen lang war ich so richtig draußen. Da kam ich gerade nach langer Krankheit aus dem Krankenhaus. Krebs. Da hatte mich mein damaliger Lebenspartner vor die Tür gesetzt und abgemeldet. Wahrscheinlich dachte er sich, wo die Kinder aus‘m Haus sind, kann die Alte auch weg. Oder hatte Angst, dass er mich pflegen muss oder so. Da stand ich ohne Geld und ohne Wohnung. Ich hab mich in der Fußgängerzone vor einen Laden gelegt und angefangen, Pfand zu sammeln, weil ich mir einfach nicht anders zu helfen wusste. Irgendwann merkte mein Bruder, dass ich auf der Straße schlafe und war völlig entsetzt. Wobei man das nicht schlafen nennen kann. Du kauerst da und hoffst, dass es schnell wieder hell wird und dir bis dahin keiner was tut. Mein Bruder hat mich dann bei sich wohnen lassen. Mittlerweile schläft eine andere Frau da, wo ich war. Ich war heilfroh, als ich wieder weg war. Das da draußen ist lebensgefährlich.

Pfand sammele ich jetzt immer noch und Frühstücken geh ich morgens auch immer noch am Gast-Haus, darum treffe ich immer noch viele, die da draußen pennen. Bei vielen hab ich den Eindruck, sie haben völlig aufgegeben und wollen sich nicht helfen lassen. Aber ich sag mir auch immer, das Leben ist ein Kampf. Es muss ja irgendwie weitergehen.

Im ersten Lockdown waren nur noch die in der Innenstadt, die nicht zuhause bleiben konnten. Wo morgens kein Geschäft öffnet, muss man nicht verschwinden. Foto: Sebastian Sellhorst

Sascha*

Mein Schnelltest war positiv. Gestern ging es mir auch echt nicht gut. Eigentlich müsste ich in Quarantäne. Aber wie soll das gehen, auf der Straße. Ich war an der Männerübernachtungsstelle und wollte `nen PCR-Test. Die haben mir nur gesagt, dass ich dafür zur Hohensyburg zur Quarantänestation muss. Aber ich kann nicht mein ganzes Gepäck mitnehmen. Wenn ich’s hier lasse, holt es die EDG. Und ich kann nicht Busfahren, positiv. Kann mir was passieren, wenn ich nicht in Quarantäne gehe?

Da, wo ich sonst penne, sind immer viele Leute, da gehe ich jetzt erst hin, wenn keiner mehr da ist. Gestern hab ich woanders geschlafen. Heute Morgen kam gleich das Ordnungsamt, drei Leute, und haben mich weggeschickt. Ich würde rumlungern, haben sie gesagt. Mal abwarten, ob ein Bußgeld kommt. In die Unionstraße –da geh ich nicht hin!

Überdachungen und Nischen bieten Schutz vor der Witterung, vor Blicken und auch vor Gewalt. Foto: Sebastian Sellhorst

* Zum Schutz der im Text sprechenden Personen sind alle Namen geändert. DIe Personen sprechen unabhängig von den auf den Fotografien abgebildeten Orten.