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Schikane ist nicht die Antwort

Ein Obdachloser in Dortmund verstößt gegen die Coronaschutzverordnung und bettelt, mehrmals. Das Ordnungsamt verteilt Knöllchen, 7.325 Euro Bußgeld kommen so zusammen. Die Stadt will den Mann ins Gefängnis schicken – um ihn zur Zahlung zu zwingen, nicht als Ersatz dafür. Das zuständige Gericht sagt: So nicht. Der Umgang mit Armen ist so empörend wie peinlich für die Stadt, ein Einzelfall ist er nicht. Ein Kommentar von Alexandra Gehrhardt.

Er ist ähnlich zynisch wie die rund 400 Knöllchen, die das Ordnungsamt 2018 an Obdachlose verteilte, weil sie taten, was wohl kaum einer von ihnen freiwillig tut: draußen schlafen. Er ist ähnlich technokratisch wie die Bußgelder, die Obdachlose im ersten Corona-Lockdown wegen Verstößen gegen das damalige Ansammlungsverbot bekamen. Für Handlungen, die nicht sanktioniert werden, wenn man sie in der eigenen Wohnung tut: aufs Klo gehen, FreundInnen treffen, schlafen, trinken.

Dass es erst ein Gericht brauchte, die Haft abzuwenden, zeigt, dass das Problem in der Behörde ein systemisches ist. Es waren nicht nur die Kräfte im Streifendienst, die ohne jedes Augenmaß unverhältnismäßige Bescheide schrieben, sondern auch die höhere Ebene, die entschied, den Delinquenten ins Gefängnis zu schicken.

Solche Ordnungsstrafen treffen Menschen auf der Straße ungleich härter – weil sie sich dem nicht entziehen, nicht einfach nach Hause gehen können. Und weil ihnen im schlimmsten Fall Gefängnis droht. Im Schnitt sitzen 1.200 Menschen in NRW Ersatzfreiheitsstrafen ab, weil sie Geldstrafen nicht zahlen können. Die Hälfte von ihnen sind Menschen, die ohne Fahrschein in Bus oder Bahn erwischt wurden – ein klassisches Armutsdelikt. Die Bundesregierung will das endlich angehen und das „Erschleichen von Leistungen“, bisher fast in allen Bundesländern eine Straftat, entkriminalisieren. Auch in diese Richtung ist der Beschluss ein Signal.

Wenn nun die Stadt, reichlich bockig, mitteilt, dass bei Bußgeldern ja auch Ratenzahlung möglich sei, zeigt sich, wie wenig von der klaren Ansage des Gerichts angekommen ist. Und wenn der Handelsverband, wie in den Ruhr Nachrichten berichtet, nun der Stadt zur Seite springt und betont, dass der Fall auf ein grundsätzliches Problem hinweise, kann man nur sagen: Das erzählen die Einrichtungen aus dem Feld seit anderthalb Jahren.

Die Pandemie hat, auch weil die Wohnungslosenhilfe viel schlechter arbeiten konnte als vorher, zu einer krassen Verelendung auf der Straße geführt und die Not sichtbar vergrößert. Unter, ohne Zweifel berechtigte, Sorgen und Beschwerden mischt sich seitdem immer wieder Abwertung und Stigmatisierung von Menschen, die das, was sie tun, nicht freiwillig draußen tun. Das Problem sind nicht diejenigen, die draußen schlafen, sondern die Ausschlüsse, die das Hilfesystem produziert. Das Problem sind nicht Menschen, die ihre Notdurft in Hauseingängen verrichten, sondern der Fakt, dass es fast keine kostenlosen öffentlichen Toiletten in der Innenstadt gibt. Die Verantwortung ist eine systemische, die Verhältnisse zu ändern oder eben nicht, eine politische Entscheidung und eine Frage des Wollens. Diese systemische Verantwortung zur individuellen Schuld der Betroffenen zu erklären, hilft nicht. Schikane auch nicht.