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Der schlimmere Winter

In der vierten Welle der Pandemie verschlechtert sich die Situation der Wohnungslosen sogar noch im Vergleich zum vergangenen Winter. Die Entscheidung gegen Einzelunterbringung sowie das Setzen auf die 3G-Regel in den verhältnismäßig engen Tages- und Versorgungseinrichtungen statt auf zusätzliche große Räume mit sicheren Hygienekonzepten stellt Betroffene und HelferInnen vor Probleme.

Von Bastian Pütter

Die Corona-Pandemie traf und trifft Wohnungslose seit ihrem Beginn besonders hart. Lange waren die wichtigen Anlaufstellen, Versorgungseinrichtungen und Tagesaufenthalte geschlossen, Hilfen fanden fast ausnahmslos auf der Straße statt. Der plakatierte Aufruf „Bleiben Sie zu Hause“ übersah Hunderttausende. Was als große Erleichterung erschien – die Wieder-Öffnung von Versorgungseinrichtungen und Tagesaufenthalten für Geimpfte, Genesene und Getestete ‑ könnte die Krise des vergangenen Winters noch verstärken.

Ohne den Schutz des Impfstoffes hatten im vergangenen Jahr Einrichtungen Hygienekonzepte mit hoher Sicherheit erstellt und neue Kapazitäten geschaffen. Die Diakonie hatte das Dortmunder Kulturzentrum Wichernhaus zur Wohnungsloseneinrichtung gemacht, wo mit großem Abstand an Einzeltischen gegessen werden konnte. Für den Winter gelang es Gast-Haus, Kana, bodo und dem Wärmebus, die Stadt zu überreden, ein beheiztes Großzelt am Dortmunder U aufzustellen, in dem an sieben Tagen in der Woche jeweils zwei Mahlzeiten ausgegeben wurden. Der strenge Infektionsschutz machte das von Hunderten Ehrenamtlichen betriebene Zelt zwar nicht gemütlich, schuf aber eine sichere Möglichkeit zum Essen und Aufwärmen. Mit den beginnenden Impfungen wurde bundesweit auf die 3G-Regel gesetzt, auch für die Wohnungslosenhilfe. Andere Modelle wurden hier nicht zugelassen.

Spezielle Impfmöglichkeiten erreichten viele Wohnungslose – viele jedoch auch nicht. Zur schlechten Informationslage kamen weitere Gründe: schlechte Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem, Ausweispflicht, Sucht- und psychische Erkrankungen und die allgemeine Krisensituation Wohnungslosigkeit, die wenig Energien für zukunftsorientiertes Handeln lässt. Mit der Durchsetzung der Delta-Variante ab dem Sommer wurde klar, dass das Infektionsgeschehen sich nicht auf Ungeimpfte beschränkt und wie eingeschränkt Antigen-Tests vor allem bei Geimpften Sicherheit bringen, nicht ansteckend zu sein. 

Das Setzen auf 3G statt auf große Räume mit Hygienekonzepten stellt Betroffene und Helfer:innen vor Probleme. Foto: Sebastian Sellhorst

Zusätzlich nahm die Schutzwirkung des für Wohnungslose eingesetzten Vektor-Impfstoffs von Johnson & Johnson so schnell ab, dass er, obwohl die Betroffenen weiter als geimpft gelten, inzwischen kaum noch Schutzwirkung entfaltet. Für die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe heißt das: Die Überlebenshilfen wie eine warme Mahlzeit, das Aufwärmen in einem geheizten Raum, das kurze Zur-Ruhe-Kommen von den immensen Belastungen eines Tags auf der Straße sind mit Risiken erkauft. Die strengen Zugangsregelungen eines Test- oder Impfnachweises halten einerseits Menschen ab, die diese Hilfen dringend brauchen. Andererseits bestehen für die zu großen Teilen Risikogruppen angehörenden Gäste trotzdem konkrete Ansteckungsrisiken.

In den Notschlafstellen versucht man dieser Risiken teilweise durch PCR-Tests und die vorübergehende Unterbringung in Quarantäneeinrichtungen Herr zu werden. Die ohnehin hohen Schwellen der Noteinrichtungen werden so, etwa durch Verlegungen per Taxi, weiter erhöht. Viele Betroffene misstrauen den Unterkünften und ziehen ihnen das gefährliche Übernachten auf der Straße vor. In der Kälteperiode des vergangenen Winters nutzten bei zweistelligen Minusgraden Dutzende Obdachlose die zum Schlafen freigegebene Unterführung am Dortmunder Hauptbahnhof.

Im vergangenen Winter hatten bodo, Gast-Haus und Wärmebus in Dortmund mit der Anmietung von in der Pandemie leerstehenden Hostel-Zimmern sichere Unterkünfte geschaffen – als Modellprojekt: Der unproblematische Ablauf sollte Politik und Verwaltung überzeugen, in der Pandemie auf diese sichere Art der Unterbringung zu setzen. Vergebens. Im Rat wurde das Thema für politische Ränke instrumentalisiert, die Verwaltung sträubte sich. Im zweiten Corona-Winter ist diese in vielen Städten praktizierte Lösung vom Tisch.

Den HelferInnen bleibt, unter diesen schwierigen Bedingungen ihr Bestes zu geben und die Risiken so gut wie möglich zu kontrollieren. Wie seit Beginn der Pandemie findet ein großer Teil der Hilfen auf der Straße statt: Neben der Versorgung mit dem Nötigsten und dem frühzeitigen Erkennen von gesundheitlichen Notlagen geht es in der Straßensozialarbeit weiterhin um das Aufbauen von Vertrauen und das Ingangsetzen von Beratungsprozessen. Das ist außerhalb der geschützten Räume von Anlaufstellen und Tagesaufenthalten um ein Vielfaches schwieriger. Trotzdem ist es nötiger denn je, denn die wichtigste Hilfe für Obdachlose ist die Begleitung zurück in sicheren Wohnraum.

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