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Arme als Störfaktor

Spätestens Corona hat die Krise der Innenstädte offengelegt. Das Konzept, sie als Orte zu begreifen, an denen außer Einkaufen nicht viel stattfindet, hat sich überlebt. „Lebenswert“ und vielfältig ist die Innenstadt von morgen. Was das heißt, erarbeiten Planungs- und PR-Büros, die passende „Story“ der Vision wird gleich mitgeliefert. Arme und Wohnungslose fehlen in diesen Geschichten meistens.

Von Alexandra Gehrhardt

Die Erzählung, dass Störfaktoren verschwinden müssen, betrifft den umkämpften öffentlichen Raum als Ganzes. Shopping Center und Außengastronomien sind nicht für alle da, sondern nur für die, die Hausrecht und Sicherheitsdienste hereinlassen. Foto: Sebastian Sellhorst

Große Herausforderungen sind es, die die Stadt Dortmund angehen will. Es geht um den Strukturwandel des Einzelhandels, den Corona massiv beschleunigt hat und die Notwendigkeit, „neue Nutzungen und Funktionen für die Innenstadt zu denken und zu fördern“, wird Oberbürgermeister Thomas Westphal in einer Mitteilung zitiert. In Dortmund soll sich künftig ein Citymanagement darum kümmern, was das heißen kann: Kleine, individuelle Läden statt großer Ketten, Handwerk, Kultur und Wohnen nebeneinander sind erste Ideen. Dazu die passende „Story“, die die Stadt als Erlebnisort erzählt.

Auch die Thier Galerie will vom „Aufblühen“ profitieren. In einer Stellungnahme zu den Corona-Auswirkungen auf das Shopping Center freute sich Center-Manager Markus Haas auf die Zukunft, machte aber auch klar, was (und wer) dabei stört: „Das aktuelle Stadtbild ist geprägt von Armut, Vandalismus und Betäubungsmittelkonsumenten“, klagt er. Letztere seien „mit dem Umzug des Café Kick gezielt in den Bereich der Thier Galerie gelockt worden“. 2020 zog der Konsumraum der Aidshilfe von der Ostseite der Thier Galerie auf die Westseite. Auch Graffiti und Schlafplätze sowie Baustellen und Demonstrationen auf dem Wall, die die Zufahrt zum Center behindern, sind Markus Haas ein Dorn im Auge.

Die Erzählung, dass Störfaktoren verschwinden müssen, betrifft den umkämpften öffentlichen Raum als Ganzes. Shopping Center und Außengastronomien sind nicht für alle da, sondern nur für die, die Hausrecht und Sicherheitsdienste hereinlassen. Eine repressive Ordnungspolitik flankiert das im öffentlichen Raum. Alkoholverbote treffen die Trinker vom Kiosk, nicht die teure Außengastronomie nebenan. „Wildpinkeln“ trifft meist nicht die Fußballfans vorm Stadion, sondern Menschen, die keinen freien Zugang zu Toiletten haben. Im vergangenen Sommer erhielten Wohnungslose in Dortmund Corona-Bußgelder in zum Teil vierstelliger Höhe, vor drei Jahren sorgten Knöllchen wegen „Lagerns und Campierens“ für bundesweite Empörung. Nach heftiger Kritik wurde die Sanktionspraxis damals ausgesetzt. Im Ordnungsrecht existiert der Paragraf noch immer.