Ausgangssperre und Obdachlosigkeit: Triftiger Grund
Der Bundesrat hat am Donnerstag die tags zuvor beschlossene Novelle des Infektionsschutzgesetzes passieren lassen. Damit treten in Städten und Kreisen mit Inzidenzwerten über 100 nächtliche Ausgangssperren in Kraft, die nur in wichtigen Ausnahmen und bei triftigen und unabweisbaren Gründen umgangen werden darf. Aus einer Formulierungshilfe des Gesundheitsministeriums geht hervor: Wohnungslosigkeit ist ein solcher Grund.

Schon seit einigen Wochen haben mehrere Kommunen und Landkreise deutschlandweit nächtliche Ausgangsbeschränkungen verhängt, um die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen. In der Wohnungslosenhilfe stellte sich immer wieder die Frage: Was bedeutet das für Obdachlose? Müssen sie mit Strafen rechnen?
In einigen Städten gab es gute Lösungen im Sinne der Betroffenen: In Hamburg stellte die Sozialbehörde klar, dass, wer auf der Straße lebt, von den Ausgangsbeschränkungen ausgenommen ist und auch nächtliche Hilfsangebote nutzen kann. Auch Wuppertal teilte mit, dass es für Obdachlose keine Sanktionen geben werde.
Im Gesetzentwurf, den die Große Koalition in den Bundestag eingebracht hatte, und in einer Formulierungshilfe des Gesundheitsministeriums wird Wohnungslosigkeit explizit als gewichtiger bzw. unabweisbarer Grund genannt: „Das Verlassen der Wohnung ist aus Verhältnismäßigkeitsgründen bei Vorliegen triftiger Gründe gestattet, die im Einzelnen aufgelistet sind. Das Vorliegen dieser Gründe ist bei Kontrollen durch die Polizei glaubhaft zu machen. Ähnlich gewichtige und unabweisbare Gründe liegen insbesondere vor im Fall der Wahrnehmung eines Termins zur Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 vor, bspw. aber auch bei Wohnungslosigkeit.“
Auf Anfrage, welche Regelungen die Städte treffen, teilte die Stadt Dortmund mit, dass damit die Option geschaffen wurde, „Personen, die ohne festen Wohnsitz sind oder dies glaubhaft machen können, keinen festen Wohnsitz zu haben, bei der Sanktionierung bei Verstößen gegen eine Ausgangssperre […] mit entsprechender Ermessensausübung nicht zu belangen.“ Das Ordnungsamt werde „hier mit Fingerspitzengefühl und pragmatisch vorgehen“, aber auch auf die freiwilligen bestehenden Unterkünfte hinweisen.
Die Stadt Bochum teilt die Einschätzung, „dass sich obdachlose Menschen nicht in der Form an Ausgangsbeschränkungen halten können, wie es Menschen mit einem eigenen Dach über dem Kopf möglich ist. […] Wir würden den Aufenthalt obdachloser Menschen draußen zwischen der vom Infektionsschutzgesetz festgesetzten Zeiten daher nicht sanktionieren.“
„Wir sind froh, dass der Gesetzgeber Klarheit schafft und Wohnungslosigkeit als triftigen Grund anerkennt“, sagt Oliver Philipp, Leiter der Sozialarbeit bei bodo. „Die Botschaften aus den Stadtverwaltungen sind wichtig und nötig. Wir hoffen und verlassen uns auf das Augenmaß der Ordnungsbehörden.“