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Draußen bleiben

Wer keine eigene Wohnung hat oder obdachlos ist, hat Anspruch auf eine Unterbringung. In der Realität drücken sich Kommunen häufig um diese Pflicht, zum Teil mit haarsträubenden Methoden. In Dortmund soll die Meldebehörde zuletzt Wohnungslosen die Anmeldung in der Stadt verweigert haben – der ist die Grundvoraussetzung für jede städtische Hilfe.

Von Alexandra Gehrhardt

Die Männerübernachtungsstelle in Dortmund. Foto: Sebastian Sellhorst

Im Dortmunder Blog „Nordstadtblogger“ erschien Mitte Februar ein Text des Autoren Daniel Djan, der eine Nacht lang einen Selbstversuch als Obdachloser gemacht hat. Im Text schildert Djan, Student der Journalistik und PR und Juso-Vorsitzender in Castrop-Rauxel, wie er sich vorbereitet, später durch die Stadt läuft und irgendwann die Männerübernachtungsstelle ansteuert, um einen Schlafplatz zu erhalten. Zuerst scheinen die Mitarbeiter ihm nicht zu glauben, wollen ihn dann aber doch aufnehmen. Doch als er keinen Ausweis zeigen kann, muss er gehen.

Was der Autor nicht wusste: Er hätte nicht abgewiesen werden dürfen. Denn: Kommunen sind zur Unterbringung von Obdachlosen verpflichtet. Wer auf der Straße ist, wird in der Verwaltungslogik als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betrachtet, die von Ordnungsbehörden beendet werden muss. In Dortmund heißt das seitens der Verwaltung: Es wird „niemand, der um einen Schlafplatz bittet, ohne Hilfsangebot abgewiesen.“

In der Realität schränken Kommunen den Kreis derer, die Unterkünfte nutzen können, aber häufig ein, indem sie Bedingungen stellen. Dortmund öffnet die Männerunterkunft nur für Dortmunder, und nur für die, deren Übernachtung Sozialamt oder Jobcenter zahlen. Wer aus einer anderen Stadt oder einem anderen EU-Land kommt, darf ein bis zwei Nächte bleiben, und bekommt dann sogenannte Rückkehrhilfen, in der Regel Fahrkarten.

Auf Anfrage teilt die Stadt mit, Wohnungslose aufzunehmen, „wenn ‚Leib und Leben‘ in Gefahr ist“. Hilfesuchende brauchen einen Ausweis oder einen polizeilichen Identitätsnachweis, ohne ihn werden sie „nur im Notfall“ bzw. „in einer dringenden Notsituation“ aufgenommen. Wann diese vorliegt, wird nicht gesagt. Für Menschen, die als Obdachlose Diskriminierung bei Ämtern oder Repression durch Polizei erlebt haben, eine hohe Hürde. Wer sie nicht überwindet, bleibt draußen, auch wenn die Stadt betont, dass der bei den Nordstadtbloggern geschilderte Vorfall nicht bedeute, „dass die Stadt tatsächliche Hilfesuchende“ abweise, sondern die Mitarbeiter ein gut geschultes Auge hätten.

Und was, wenn der Weg ins staatliche Hilfesystem so schwer gemacht wird, dass nicht einmal der Einstieg gelingt? Der Redaktion liegen Informationen darüber vor, dass die Dortmunder Bürgerdienste mehrfach Wohnsitzlosen verweigerten, ihren Wohnsitz anzumelden – die Begründung: Um einen Wohnsitz anzumelden, brauche man eine Wohnung. Der gemeldete Wohnsitz ist aber die Basis, um überhaupt kommunale Hilfen beantragen zu können. Wer keine Wohnung hatte, bekam bisher den Vermerk „ofW“, „ohne festen Wohnsitz“. Die Folge: Wer nicht in Dortmund gemeldet ist, kann nicht in der Übernachtungsstelle bleiben, nicht die Angebote der Zentralen Beratungsstelle nutzen, nicht in eine städtische Notwohnung, und nicht einmal Sozialleistungen beantragen.

Dazu, ob dieses Vorgehen Standard ist oder wie Wohnungslose die Voraussetzungen für staatliche Hilfen erfüllen sollen, äußerte die Stadt sich nicht. Die Antwort auf eine Anfrage blieb die Pressestelle auf mehrfache Nachfrage bisher schuldig. Falls wir noch Antworten erhalten, reichen wir diese hier nach.

Update (28.02.)

Die Pressestelle antwortet nur scheibchenweise auf die Anfragen unserer Redaktion, die Korrespondenz mit 2 Fragenkomplexen umfasst mittlerweile mehr als 14 E-Mails. Zur Praxis, dass Wohnungslose ihren Wohnsitz nicht in der Stadt anmelden können, antwortete die Stadt am Dienstag (25.02.):

Es geht hier nicht um eine Verweigerungshaltung der Meldebehörde, sondern eine Wohnsitzanmeldung ohne festen Wohnsitz schließt sich nach dem Bundesmeldegesetz (BMG) aus.  Die Meldebehörden dürfen personenbezogene Daten, die im Melderegister gespeichert werden, nur nach Maßgabe des Bundesmeldegesetzes verarbeiten. Die Meldebehörde hat die in ihrem Zuständigkeitsbereich wohnhaften Personen zu registrieren, um deren Identität und deren Wohnungen feststellen zu können. Nach § 17 BMG setzt die Anmeldung bei der Meldebehörde und die Erfassung im Melderegister das Beziehen einer Wohnung voraus. Ohne Bezug einer Wohnung kann keine Eintragung im Melderegister erfolgen.“

Zur praktischen Umsetzung teilt die Pressestelle mit:

Kommen wohnungslose Bürger*innen zu uns, stellen wir eine Bescheinigung aus, welche die Vorsprache bei den Bürgerdiensten bestätigt und auf den Umstand hinweist, dass ohne Bezug einer Wohnung keine Eintragung im Melderegister erfolgen kann. Sofern zuvor ein Wohnsitz in Dortmund existierte und keine neue Wohnung im Inland bezogen wird, muss dieser Wohnsitz innerhalb von 14 Tagen abgemeldet werden. In diesem Zusammenhang wird dann eine „Ab-„Meldebestätigung ausgestellt. Postalische Erreichbarkeitsadressen sind im Melderegister nicht eintragungsfähig.

Die Quintessenz: Es ist fast undurchschaubar kompliziert. Wer wohnungslos ist und seinen Wohnsitz in Dortmund anmelden will, bekommt bei den Bürgerdiensten eine Bescheinigung. Darin steht, dass die Person da war, aber ihr Anliegen abgelehnt wurde. Und was passiert danach? Wie kann man an Hilfeleistungen kommen, nachdem man bei der Meldebehörde weggeschickt wurde? Die Pressestelle antwortet am Donnerstag (27.02.):

„Um ins Hilfesystem zu gelangen, sollte sich der Betroffene beim Sozialamt melden. Er kann sich auch an die Männerübernachtungsstelle oder eine andere Einrichtung des Dortmunder Netzwerkes wenden.“

Genau an dieser Stelle dreht sich die Argumentation der Stadt im Kreis: Um in Dortmund als WohnungsloseR Hilfe zu bekommen, braucht man einen Wohnsitz in Dortmund, den man nicht anmelden kann, und soll dann zum Sozialamt oder einer anderen Einrichtung, die man nur nutzen kann, wenn man in Dortmund gemeldet ist.

In der Praxis dürfte das bedeuten: Hilfesuchende werden von einem Ort zum nächsten geschickt, um Bedingungen zu erfüllen, die sie nicht erfüllen können. Oder einfach gesagt: Es wird Wohnungslosen so schwer gemacht, dass die meisten von ihnen im komplizierten Procedere auf der Strecke bleiben dürften.

Ein Kompromiss wäre: Wenn Wohnungslose schon nicht ihren Wohnsitz in Dortmund anmelden können, muss zumindest die Ablehnungsbescheinigung als „Beweis“ ausreichen, dass sie sich bemüht haben. Wir haben bei der Stadt nachgefragt:

Ist die Bescheinigung über die Vorsprache bei den Bürgerdiensten ein rechtsgültiges Dokument? Und: Können Wohnungslose mit dieser Bescheinigung in Dortmund Sozialleistungen und Leistungen der Hilfesysteme in Anspruch nehmen? Diese Frage wurde zweimal gestellt, blieb bisher aber unbeantwortet. Wir berichten weiter.

Update (06.03.)

Noch immer warten wir auf eine Antwort von der Pressestelle. Zwischendrin haben wir eine andere Antwort aus der vergangenen Woche noch einmal bekommen und eine weitere Mitteilung erhalten, dass man sich kümmere. Mittlerweile dauert der Vorgang zweieinhalb Wochen.