Stalking
Es gibt Grenzüberschreitungen, Übergriffe, Straftaten, bei denen wir dazu neigen, Verständnis für die TäterInnen zu entwickeln, zum Beispiel weil sie vermeintlich „aus Liebe“ handeln. Die Opfer und ihr Leid macht das umso unsichtbarer. Stalking, das beharrliche Verfolgen und Belästigen oft von Ex- oder Wunsch-PartnerInnen ist das prototypische Delikt dieser Art. bodo sprach mit BeraterInnen und einer betroffenen Frau, die nun in Dortmund eine Selbsthilfegruppe gründet.
Von Meike Vitzthum und Bastian Pütter

Sylvia Weber (Name geändert) sitzt in einem der hellen Tagungsräume der Selbsthilfekontaktstelle in der Dortmunder Innenstadt. Ihre Geschichte zu erzählen fällt ihr schwer. Weil Stalking alle Energien der Betroffenen bindet und eine Unmittelbarkeit erzwingt, aus der sich schwer zu lösen ist: „Dass man beteiligt ist, es nicht wahrhaben möchte, dass man es selbst vielleicht romantisiert, verfälscht die Sicht auf die Dinge“, sagt sie. „Es fehlt der innere Abstand. Das ist auch das, was man mir immer geraten hat: Finde inneren Abstand. Damit man von außen besser draufgucken kann. Das kann ich in diesem Jahr besser.“
„Eigentlich steckt eine Verliebtheitsgeschichte dahinter“, beginnt sie. „Wir sind uns aber aus dem Weg gegangen, weil ich verheiratet war, Kinder habe und deutlich älter bin. An sich ja nichts dramatisches, sich zu verlieben und manchmal passiert das in ungünstigen Lebensabschnitten. Freunde haben gesagt: ,Dann lass die Nachbarn tratschen.‘“ Es bleibt kompliziert, eine Beziehung kommt nicht zustande.
Ein männliches Delikt
„Es hat lange gedauert, bis es bei mir wirklich zum Begriff wurde. Als ich anfing zu merken, dass er weiß, wo ich bin, da hab ich das mit Stalking noch gar nicht in Zusammenhang gebracht“, sagt Sylvia Weber. „Ich fand es gruselig, es hat mir Angst gemacht und gleichzeitig hab ich’s romantisiert. Ich hab erst allmählich verstanden, dass das nichts Gesundes ist und auch nichts Romantisches, weil es mein Privatleben verletzt und mich belastet.“
Irgendwann wird Sylvia Weber klar, dass es Inhalte über sie in sozialen Medien geben muss, die ihr nicht gefallen können. „Zum Beispiel aus dem Auto heraus werden mir Kränkungen zugerufen, oder ich hab auch gehört: ,Dass die sich auf die Straße traut, die Frau Weber.‘ Das macht schon Angst.“
Das Auflauern oder Verfolgen, Telefonterror, Bedrohungen oder Sachbeschädigungen sind häufige Formen des Stalkings. Inzwischen sind „digitale“ Formen dazugekommen: Identitätsdiebstahl, Online-Bestellungen auf den fremden Namen, Verleumdung im Internet oder die Veröffentlichung persönlicher Fotos oder Videos etwa.
„Studien zufolge sind in Deutschland 24 Prozent aller Frauen und 4 Prozent aller Männer einmal im Leben von Stalking betroffen“, erläutert Irene Kusenberg von der Frauenberatungsstelle Dortmund die Statistik. „Etwa 80 Prozent aller Betroffenen von Stalking sind Frauen, etwa 80 Prozent der TäterInnen sind Männer. Beim Stalking gibt es keinen Zusammenhang zwischen Alter, Bildung, Nationalität oder der Lebensweise der Opfer.“ Besonders gefährdet sind Frauen in Trennungssituationen.
Ständig präsent
Das erlebt auch Ingo Moldenhauer, Vorsitzender des Weißen Rings Dortmund: „Wir haben bei uns ca. 40 bis 50 Fälle von Stalking im Jahr. Zum allergrößten Teil sind Frauen betroffen, Täter sind in der Regel Ex-Partner, die Trennungen nicht akzeptieren und dann zu solchen Mitteln greifen.“ Die Folgen, denen Moldenhauer in der Beratungspraxis begegnet, sind massiv: „Das geht hin bis zu Traumatisierungen, bis dahin, dass Menschen ihren Beruf aufgeben, ihren Wohnort wechseln müssen.“
Ängste, Konzentrationsschwäche, Schlafprobleme – Sylvia Weber hat die Situation an die Grenze der Belastbarkeit gebracht: „Ich habe mich letztes Jahr eine Zeit lang zurückgezogen“, sagt sie. „Ich konnte nicht zur Arbeit gehen. Ich habe dann eine Reha gemacht, kam zurück und hatte zum Thema Angst und Depressionsbewältigung einiges gelernt. Ich habe dann schließlich wieder Schritte in die Öffentlichkeit gewagt. Im Dezember 2018 bin ich zum ersten Mal wieder S-Bahn gefahren.“
Dabei schaltete sie ihr Handy auf Aufnahme, um etwaige Belästigungen dokumentieren zu können. „Da ist so eine Grundanspannung“, sagt sie. „Sie wachen auf und das Thema ist das erste, woran Sie denken. Sie gehen ins Bett und es ist das letzte, woran Sie denken. So schafft es ein Stalker sich im Leben eines Menschen ständig präsent zu machen.“
„Ich habe irgendwann angefangen, nachzulesen, mich schlau zu machen. Irgendetwas musste ich tun“, sagt Sylvia Weber. „Und dann habe ich mit Beratungsstellen gesprochen. Die haben mir geraten, es viel mehr Leuten zu erzählen, das hat gutgetan.“ Irgendwann geht sie zur Polizei und erstattet Anzeige, in erster Linie, um ein Zeichen zu setzen, sagt sie.
Öffentlichkeit, Grenzen, Beweise
Ein Patentrezept gebe es nicht, sagt Irene Kusenberg von der Frauenberatungsstelle. „Trotzdem gibt es bestimmte Verhaltensgrundsätze, zu denen wir Betroffenen raten.“ Neben dem zentralen Punkt, das Stalking öffentlich zu machen wie Frau Weber – „Keine Frau sollte alleine dastehen“ – empfiehlt sie, im Umgang mit dem Stalker früh Grenzen zu setzen, am besten vor Zeugen oder per Einschreiben mit Rückschein. „Ein deutliches und konsequentes ,Nein‘ ist wichtig. Das sollte aber auch die letzte persönliche Reaktion sein.“ Die weiteren Ratschläge der Beraterin: „Sammeln Sie Beweise. Nutzen Sie die rechtlichen Möglichkeiten.“
Seit 2007 gibt es den Paragrafen 238 StGB „Nachstellung“, seitdem ist Stalking eine Straftat, die mit Freiheitsstrafe geahndet werden kann. Seit der Neureglung 2017 ist Stalking auch dann strafbar, wenn die Handlungen dazu geeignet sind, die Lebensgestaltung der Betroffenen schwerwiegend zu beeinträchtigen. Zuvor musste eine tatsächliche Beeinträchtigung nachgewiesen werden. Viele Stalking-Handlungen fallen auch unter andere Straftatbestände und können gesondert angezeigt werden.
Die Erfolgsaussichten bleiben ein Problem. Ein Aspekt: „Um rechtlich eine Handhabe zu haben, muss man gerichtsfest Beweise dokumentieren“, weiß Ingo Moldenhauer. Dazu hat der Weiße Ring eine Smartphone-Anwendung entwickelt. „Mit der ,No Stalk App‘ kann man Foto-, Video- und Sprachaufnahmen machen, die dann auf einem externen Server gespeichert werden. Selbst wenn der Stalker in Besitz des Handys kommt, sind die Daten dann verwertbar für ein gerichtliches Verfahren, das man nach anwaltlicher Beratung ab einer bestimmten Stufe sicherlich anstreben sollte.“
Neben fachlicher Beratung, gegebenenfalls psychotherapeutischer Unterstützung und dem Weg des Strafrechts gibt es die im sensiblen Feld Stalking noch wenig ausgebaute Selbsthilfe. Weil es in der Region noch keine Selbsthilfegruppe gibt, hat Sylvia Weber bei der Selbsthilfekontaktstelle des Paritätischen in Dortmund eine Gründung angeregt. Sie erklärt es so: „Ich habe eine Bekannte, die hat heute noch kein Klingelschild an der Haustür, weil sie immer noch befürchtet , dass der Ex-Mann irgendwann bei ihr vor der Tür steht. Wenn man mit Leuten in ähnlichen Lagen spricht, dann muss man nichts erklären. Die verstehen dich sofort. Und plötzlich hast du Kraft für andere Themen.“
INFO & Anlaufstellen
„Stalking – Raus aus der Opferrolle“ heißt die Selbsthilfegruppe im Aufbau: Informationen unter www.selbsthilfe-dortmund.de
Beratungsstellen
Weißer Ring
Beratung und Unterstützung für Kriminalitätsopfer. Info, Außenstellen und Kontakte in Westfalen-Lippe: nrw-westfalen-lippe.weisser-ring.de –> Aussenstellen
Dortmund: 0231 – 9129861 (dortmund-nrw-westfalen-lippe.weisser-ring.de)
Bochum: 0234 – 413398 (bochum-nrw-westfalen-lippe.weisser-ring.de)
Ennepe-Ruhr-Kreis: 0151/55164777 (ennepe-ruhr-kreis-nrw-westfalen-lippe.weisser-ring.de)
Hagen: 0151/55164755 (hagen-nrw-westfalen-lippe.weisser-ring.de)
Herne: 02323 – 944335 (herne-nrw-westfalen-lippe.weisser-ring.de)
NO STALK App des Weißen Rings
Smartphone-App zur beweissicheren Dokumentation von Stalking-Vorfällen. www.nostalk.de
Stop Stalking Berlin
Unterstützung für Menschen, die gestalkt werden, und Menschen, die stalken. www.stop-stalking-berlin.de
Frauenberatungsstellen in NRW
Bochum: 0234 – 3259176 (www.mira-ev.de)
Dortmund: 0231-521008 (www.frauenberatungsstellen-nrw.de/beratungsstellen/dortmund)
Ennepe-Ruhr-Kreis: 02336 – 4759091 (www.frauenberatung-EN.de)
Hagen: 02331 – 15888 (www.frauenberatung-hagen.de/frauenberatung)
Herne: 02323 981198 (www.beratungsstelle-schattenlicht.de)